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- Archiv 2021 -

Aus der Chefin ist die Assistentin geworden

Dr. Dorothea Mordeja gibt nach 27 Jahren als Hausärztin ihren Kassensitz in Drispenstedt weiter

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„Wenn ihr Drispenstedt nicht liebt, braucht ihr gar nicht zu bleiben", pflegte Dr. Dorothea Mordeja neue Kolleginnen und Kollegen einzunorden, die an einer Mitarbeit in ihrer Hausarztpraxis in der Ehrlicherstraße interessiert waren. Dass sie selbst ihr Herz an die Menschen in diesem Stadtteil verloren hat, hat die Allgemeinärztin über 27 Jahre hinweg Tag für Tag aufs Neue bewiesen. Nun aber will die 67-jährige kürzer treten und hat ihren Arztsitz an Luisa Bachmann abgetreten.
Doch ganz lassen mag Dorothea Mordeja von ihrem Traumberuf noch immer nicht : Weil Bachmann als junge Mutter nicht Vollzeit arbeiten kann, ist ihre ehemalige Chefin jetzt für zehn Stunden wöchentlich als ihre „Entlastungsassistentin" tätig. Das ist zwar kein Vergleich zu den 50 bis 60 Stunden, die sie früher für ihre Patientinnen und Patienten aufgebracht hat, doch das Zeitfenster reicht ihr, um den Kontakt zu ihnen nicht ganz abbrechen zu lassen.
„Viele Familien kenne ich ja schon über drei Generationen."
Als Kind stand für die gebürtige Duderstädterin fest, dass sie später einmal Kinderkrankenschwester werden will. Tatsächlich ergriff sie diesen Beruf, arbeitete mit großer Freude an der Uni-Klinik in Göttingen. Zugleich aber weckte die Arbeit immer mehr ihr Interesse an der Medizin selbst. Deshalb holte sie am Abendgymnasium ihr Abitur nach und studierte in Hannover Medizin. Durch Weiterbildungen hatte sie sich zwar längst zur Pflegedienstleiterin und zur Unterrichtsschwester qualifiziert.
„Aber mit 25 Jahren war ich damals noch zu jung, um diese Tätigkeiten ausüben zu können."
Im Studium seien ihre praktischen Erfahrungen als Krankenschwester von „unschätzbarem Wert" gewesen, sagt sie selbst. Studieninhalte konnte sie viel leichter mit der Praxis in Deckung bringen - und in den Semesterferien konnte sie als Schwester an der MHH zugleich ihr Studium finanzieren.
Als junge Ärztin arbeitete sie zwei Jahre in der Chirurgie in Springe, vier Jahre in der Inneren Medizin am Bernward-Krankenhaus. Das kannte sie bereits aus ihrer Zeit als
Unterrichtsschwester : Weil die Vinzentinerinnen sowohl die Schulen in Hildesheim als auch in Göttingen betrieben, gab es einen regen Austausch.
Als sich Mordeja mit 40 Jahren entschied, sich mit einer eigenen Praxis niederzulassen, ahnte sie noch nicht, wie multikulti die Bevölkerung in Drispenstedt zusammengewürfelt ist. Für nicht eben wenige ihrer Kollegen wäre eine Praxis inmitten eines sozialen Brennpunkts eher weniger in Frage gekommen, Privatpatienten kann man hier an einer Hand abzählen.
„Anfangs habe ich auch ein bisschen Angst gehabt, wenn ich abends um halb zehn noch zu Hausbesuchen unterwegs war", sagt Mordeja und lacht über ihre damalige Furcht.
„Nach einem halben Jahr habe ich gemerkt : Die Leute kennen mich und passen auf mich auf." Im Gegenzug machte sie es sich zur Aufgabe, auf ihre Patienten aufzupassen.
Manche ihrer Patienten sprechen auch nach Jahren im Land kaum deutsch, was die Diagnosestellung und Therapieanweisungen nicht gerade einfach macht. Für einige Männer aus anderen Kulturkreisen war es anfangs nicht leicht, eine Frau als Ärztin und Respektsperson zu akzeptieren. Doch Mordeja und ihre Patienten rauften sich zusammen.
„Ich mache meine Arbeit hier nach wie vor total gerne. Man bekommt so viel Achtung und Dankbarkeit zurück, erfährt so viel Wertschätzung."
Gerade die Betreuung der vielen Kinder lag der ehemaligen Kinderkrankenschwester am Herzen.
Nach einigen Jahren als Einzelkämpferin kamen 1999 zwei Ärztinnen hinzu : Gemeinsam mit Dr. Jutta Strüber und Dr. Heike Kreye betrieb Mordeja nun eine Gemeinschaftspraxis. „Alle sechs Kassensitze in Drispenstedt sind übrigens mit Frauen besetzt."
Darüber hinaus war Mordeja acht Jahre lang ehrenamtliche Richterin am Berufsgericht in Hannover. „Eine sehr spannende Aufgabe.“
Als sie vor sechs Jahren zur Bezirksstellen-Vorsitzenden der Hildesheimer Ärztekammer gewählt wurde, musste sie das Richteramt aufgeben, um möglichen Interessenkollisionen vorzubeugen. Bis 2025 läuft ihre Amtszeit in der Kammer.
Darüber hinaus ist sie derzeit ärztiche Leiterin des Impfzentrums in Alfeld - und impft auch in ihrer Hausarztpraxis, sofern es denn genügend Impfstoff gibt.

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Wer Mordeja kennt, weiß, dass es ihr auch ohne die zeitraubende Arbeit in der Praxis nicht langweilig werden wird :
Die Italien-, speziell Venedig-Liebhaberin, will ihre Fremdsprachen-kenntnisse auffrischen, das Akkordeonspiel, das sie vor einigen Jahren begonnen hat, intensivieren.
Zudem kümmert sie sich um ihre 93-jährige Mutter, die im Eichsfeld lebt. Ihr Terminkalender ist nach wie vor gut gefüllt. Nur manchmal müssen sie ihre Kolleginnen erinnern, dass sie als Entlastungsassistentin keine Zeit für Hausbesuche mehr hat.